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Jetzt anmeldenDie Digitalisierung beeinflusst nahezu alle Lebensbereiche. Mit ihr sind vielfältige Erwartungen und Hoffnungen verbunden – so auch mehr Effizienz und Bürgerfreundlichkeit in der öffentlichen Verwaltung. Der digitale Wandel in der öffentlichen Verwaltung ist ein Balanceakt zwischen technologischen Möglichkeiten, organisationalen Ressourcen und gesetzlichen Rahmenbedingungen sowie den Anforderungen einer großen Vielfalt von Arbeitsprozessen. Trotz gesetzlicher Vorgaben wie dem Onlinezugangsgesetz wird vielfach eine noch eher schleppend verlaufende Digitalisierung beklagt. Wissenschaftler*innen des Zukunftslabors Gesellschaft & Arbeit führten von 2022 bis 2024 eine umfangreiche Studie durch, um Digitalisierungsprozesse in der öffentlichen Verwaltung zu beleuchten.
Untersuchungen fanden schwerpunktmäßig in mehreren Jobcentern statt sowie ergänzend in unterschiedlichen Bereichen der kommunalen Verwaltung (Ausländerbehörde, Kfz-Zulassung, Führerscheinstelle, allgemeine Bürgerinformation sowie Beschäftigungsförderung). Um ein umfassendes Bild der Digitalisierungsprozesse zu gewinnen, führten die Wissenschaftler*innen mehrtägige Arbeitsplatzbeobachtungen durch sowie Interviews mit Beschäftigten, Führungskräften und Personalrät*innen, weitere betrieblichen Expert*innen sowie mit Leistungsempfänger*innen und Antragsteller*innen in Jobcentern. Zudem erfolgten in einzelnen Jobcentern quantitative Erhebungen in Form von Fragebögen.
Digitalisierung in Jobcentern: Fortgeschrittener Stand, aber verbesserungswürdig
Die Ergebnisse zeigen, dass die Digitalisierung in den Jobcentern – verglichen mit anderen Bereichen der öffentlichen Verwaltung – schon weit vorangeschritten ist. Alle untersuchten Jobcenter arbeiten mit digitalen Fachverfahren und elektronischen Akten. Digitale Zugänge und Schnittstellen zu den Leistungsempfänger*innen und Antragsteller*innen – etwa in Form digitaler Antragsverfahren, Upload-Möglichkeiten und Nachrichtenfunktionen – befinden sich im Auf- und Ausbau.
Die Beschäftigten zeigen über alle untersuchten Verwaltungsbereiche hinweg einen geübten und aufgeschlossenen Umgang mit digitalen Möglichkeiten. Die Grundhaltung geht eher in Richtung einer breiteren Nutzung, sofern diese sinnvoll und nützlich für den Arbeitsprozess ist. Gleichzeitig erleben die Beschäftigten vielfältige Hürden im Umgang mit digitalen Anwendungen, die einen Entlastungseffekt verhindern oder teilweise sogar zu Mehraufwand führen: So besteht nach wie vor erheblicher Optimierungsbedarf etwa hinsichtlich der Integration unterschiedlicher Systeme, aber auch bezogen auf die Nutzungsfreundlichkeit der Software oder die Vermeidung von Programmausfällen und Störungen. Viele der Befragten betonen, die Systeme seien zu fern von den Arbeitsprozessen gestaltet und eigene Ideen und Wünsche würden zu wenig oder zu langsam umgesetzt. Verbreitet zeigte sich der Eindruck, man könne mehr aus den digitalen Möglichkeiten herausholen.
In Jobcentern ist die Interaktion zwischen Beschäftigten und Hilfesuchenden zentral für eine gute Dienstleistung, was mit Anforderungen an Digitalisierungsprozesse einhergeht. Wenn diese gut zusammenwirken, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass Arbeitsuchende schnell und nachhaltig in den Arbeitsmarkt integriert werden können. Die Digitalisierung ist daher so zu gestalten, dass Routinevorgänge vereinfacht oder sogar automatisiert werden, die persönliche Interaktion aber keinesfalls ersetzt, sondern vielmehr zielgerichtet unterstützt wird. Dabei ist es wichtig, der Heterogenität der Leistungsempfänger*innen und Antragsteller*innen und ihrer Anliegen gerecht zu werden. Die Hilfesuchenden befinden sich in sehr unterschiedlichen und spezifischen Lebenslagen und Situationen, ihre Anliegen sind heterogen und individuell. Diese Vielfalt der jeweiligen Gesamtsituationen und der damit verbundenen Anforderungen muss bei der Umsetzung der Digitalisierung berücksichtigt werden. Auch in der Fragebogenerhebung zeigten sich erhebliche Unterschiede in der Gewichtung persönlicher und digitaler Zugangsmöglichkeiten. In der quantitativen Befragung der Hilfesuchenden ließen sich hier drei Gruppen unterscheiden: 41 Prozent der Befragten betonen persönliche Zugangswege und finden digitale Formen weniger wichtig oder lehnen sie sogar ab; umgekehrt halten 26 Prozent digitale Möglichkeiten für besonders wichtig und möchten gerne mehr digital erledigen. 33 Prozent der Hilfesuchenden heben die Bedeutung des persönlichen Kontakts hervor, wünschen sich zugleich aber auch mehr digitale Möglichkeiten.
Mitgestaltung als Schlüssel für erfolgreiche Digitalisierungsprozesse
Vor dem Hintergrund der beschriebenen Anforderungen an die Digitalisierung sowie der bestehenden Defizite zeigt die Studie auch, dass für gelingende Digitalisierungsprozesse die Mitgestaltung seitens der Beschäftigen und ihrer direkten Vorgesetzten von zentraler Bedeutung ist. Denn Beschäftigte und prozessnahe Führungskräfte verfügen über wertvolle Erfahrungen und Arbeitsprozesswissen. Dieses frühzeitig und kontinuierlich in Digitalisierungsprozesse einzubinden, verbessert die Funktionalität und Effektivität. Darüber hinaus werden Möglichkeiten der Mitgestaltung als Ausdruck von Wertschätzung wahrgenommen, was wiederum die Arbeitszufriedenheit und das Wohlbefinden erhöht. Die Mitgestaltung der Nutzer*innen organisatorisch und institutionell fest zu verankern, sie aktiv einzufordern und mit ausreichenden personellen, zeitlichen sowie finanziellen Ressourcen auszustatten, ist für das Gelingen der Digitalisierung zentral, stößt gerade in der öffentlichen Verwaltung jedoch oft auf Hürden und schwierige Rahmenbedingungen. Begrenzte Ressourcen und teilweise wenig Erfahrung mit Organisationswandel und Organisationsentwicklungsprozessen erschweren nicht nur die Entwicklung und Einführung digitaler Systeme, sondern zeigen sich als Problem gerade wenn es darum geht, diese kontinuierlich weiterzuentwickeln und zu optimieren. Noch schwerer zu realisieren, aber ebenfalls notwendig und möglich, ist insbesondere im Bereich der Jobcenter, also an der Schnittstelle zu den Bürger*innen, außerdem die Einbeziehung der Hilfesuchenden in die Gestaltung der Digitalisierung. Dabei gilt generell: Die Bereitstellung von Unterstützungs- und Mitwirkungsmöglichkeiten für Hilfesuchende bei der Nutzung digitaler Tools ist zugleich eine Investition in deren Arbeitsmarktgängigkeit.
Umfassende und institutionell verankerte Mitgestaltungsmöglichkeiten sind der Schlüssel für gelingende Digitalisierungsprozesse. Dies lässt sich jedoch nicht einfach als zusätzliche Aufgabe neben dem Tagesgeschäft bewerkstelligen. Vielmehr braucht es gezielte zeitliche, personelle und organisatorische Ressourcen.
Teil des Forschungsprojekts war auch ein umfassender Transfer der Ergebnisse in die betriebliche Praxis und Politik. Die Ergebnisse wurden in allen teilnehmenden Verwaltungsbereichen vorgestellt und diskutiert und werden so die weitere Gestaltung der Digitalisierung beeinflussen. Darüber hinaus führten die Wissenschaftler*innen einen Praxisworkshop mit Vertreter*innen aus rund 25 Jobcentern, der Bundesagentur für Arbeit und Ministerien durch, um die Ergebnisse zu präsentieren und zu diskutieren sowie einen Raum für Austausch und den Aufbau von Netzwerken zu schaffen.
Augmented Reality für die Industrie: Bedarfsorientierte Entwicklung und Tests
Möglichkeiten der Mitgestaltung sind nicht nur bei der Einführung, sondern auch bei der Entwicklung digitaler Technologien zentral. Im Forschungsjahr 2023 hatten die Wissenschaftler*innen des Zukunftslabors Gesellschaft & Arbeit bereits mit einer Fallstudie in der Industrie begonnen. Sie untersuchten, wie eine Augmented-Reality-Brille (AR) Beschäftigte bei räumlich verteilten und zeitlich kritischen Arbeitsschritten unterstützen kann. Konkret ging es um Prozesse des industriellen Klebens, die an unterschiedlichen Arbeitsstationen (räumlich verteilt) und mit unterschiedlicher Dringlichkeit (zeitlich kritisch) erledigt werden müssen. Es zeigte sich, dass eingeblendete Pfeile im Sichtfeld der Nutzer*innen besonders hilfreich waren, als Hinweis auf die nächste zu erledigende Aufgabe und Arbeitsstation. Indem die Pfeile rot und größer wurden, wurde die zeitliche Dringlichkeit betont.
Die Wissenschaftler*innen orientierten sich bei der Studie am Human-Centered Design (HCD), mit dem digitale Technologien nach den Ansprüchen und Bedürfnissen der Nutzer*innen entwickelt werden– also mit Fokus auf den Menschen. In einem iterativen Prozess werden der Nutzungskontext der Technologie analysiert, die Anforderungen der Nutzer*innen ermittelt, technologische Lösungen entwickelt und durch die Nutzer*innen evaluiert und angepasst, sofern die Lösungen noch nicht den Anforderungen entsprechen.
Diese Fallstudie führten die Wissenschaftler*innen 2024 fort. Der Schwerpunkt lag auf der reibungslosen und sicheren Übernahme von Arbeitsaufgaben, zum Beispiel bei besonders komplexen Tätigkeiten oder häufigen Unterbrechungen durch Schichtwechsel. Hierzu entwickelten die Wissenschaftler*innen drei Visualisierungen in Augmented Reality, die die Beschäftigten bei der Aufgabenübernahme unterstützen sollten: a) die Baseline – ein Diagramm ohne räumliche Ansicht, b) die Map View – eine kartenbasierte Ansicht mit schwacher räumlicher Registrierung (grün = Standort der Person) und c) die Location-bound View – eine ortsgebundene Ansicht mit starker räumlicher Registrierung.
Insgesamt testeten 24 Beschäftigte diese drei AR-Visualisierungen während ihrer Klebeprozesse. Währenddessen erfassten die Wissenschaftler*innen unterschiedliche Faktoren, um den Erfolg der drei Visualisierungen zu messen. Dazu zählte unter anderem die Zeit, die sie für die räumliche Orientierung benötigten, die Bearbeitungszeit zur Ausführung kritischer Schritte sowie die Konsistenz der Arbeit, also die Gleichmäßigkeit der Ausführung. Nach der Durchführung füllten die Beschäftigten zudem einen Fragebogen zur Nutzungsfreundlichkeit und Aufgabenlast aus. Die Ergebnisse zeigen, dass insbesondere die ortsgebundene Ansicht (Variante c) die Effizienz der Aufgabenübernahme erheblich verbesserte, gefolgt von der kartenbasierten Ansicht (Variante b) und dem Diagramm (Variante a). Solche Fallstudien tragen dazu bei, Arbeitsprozesse der Zukunft menschenzentriert zu gestalten, indem sie systematisch untersuchen, wie technologische Unterstützung – hier durch AR – an die kognitiven Fähigkeiten und Bedürfnisse der Nutzer*innen angepasst werden sollte. Indem die Studien zeigen, welche Darstellungsformen wie in diesem Beispiel die Übernahme komplexer, verteilter Aufgaben erleichtern und die mentale Belastung reduzieren, liefern sie evidenzbasierte Grundlagen für die Entwicklung benutzerfreundlicher, sicherer und effizienter Assistenzsysteme in der Arbeitswelt von morgen.
Wertschätzung in einer digitalen Arbeitswelt
Die Forschung des Zukunftslabors Gesellschaft & Arbeit in der öffentlichen Verwaltung und in der Industrie veranschaulicht, dass sich die Digitalisierung von Arbeitsprozessen und die Entwicklung digitaler Technologien an den Anforderungen der jeweiligen Arbeitsbereiche sowie der Beschäftigten und Nutzer*innen orientieren muss. Aktive Mitgestaltung erhöht sowohl die Effektivität und den Nutzen digitaler Abläufe als auch die Arbeitszufriedenheit der Beschäftigten. Umgekehrt werden fehlende Möglichkeiten der Mitgestaltung als Missachtung der eigenen Kompetenzen und als Ausdruck mangelnder Wertschätzung erlebt. Digitale Anwendungen und damit verbundene Arbeitsprozesse müssen so gestaltet sein, dass die Nutzer*innen in der Anwendung digitaler Technologien Entlastung und persönliche Wertschätzung erfahren. Besonders hier zeigt sich die Bedeutung interdisziplinärer Zusammenarbeit. Obwohl das Zusammenwirken von Menschen und Technik bei der Entwicklung digitaler Technologien durchaus Berücksichtigung findet, werden die teils sehr unterschiedlichen sozialen und organisatorischen Voraussetzungen und späteren Anwendungsbedingungen dabei oft nicht ausreichend einbezogen. Zentrale Aspekte sind hier die Arbeitsorganisation und Formen der Arbeitsteilung, die Kommunikation und Interaktionsbeziehungen oder auch die Vergütung und Arbeitszeitmodelle. Gerade auch deshalb ist die Mitgestaltung seitens der Beschäftigten und prozessnaher Führungskräfte in allen Phasen der Technikentwicklung von zentraler Bedeutung.
In einer Arbeitswelt, die immer digitaler wird, stellt sich die Frage, wie wir digitale Technologien gestalten, dass sie nicht nur effektiv sind und die Menschen damit fehlerfrei arbeiten können. Es geht darum zu verstehen, wie die Digitalisierung der Arbeit und des Arbeitsplatzes die Wertschätzung und den Wert der Arbeit verändert. Daher ist die Zusammenarbeit der Informatik, der Arbeitssoziologie und des Kommunikationsmanagements sehr gewinnbringend für die Gestaltung einer digitalisierten Arbeitswelt.
Um sich der Thematik zu nähern, führten die Wissenschaftler*innen des Zukunftslabors Gesellschaft & Arbeit eine systematische Literaturanalyse für die drei Forschungsdisziplinen durch. Daraufhin diskutierten sie in einem gemeinsamen Workshop Definitionen von und Einflussfaktoren auf Wertschätzung sowie mögliche Skalen zur Messung der Wertschöpfung. Die interdisziplinäre Auseinandersetzung mit dem Thema Wertschätzung zeigt die Relevanz verschiedener fachlicher Perspektiven für ein umfassendes Verständnis: Die Informatik betont Wertschätzung im Gestaltungsprozess digitaler Technologien, die Arbeitssoziologie hebt ihre Bedeutung für Sinnhaftigkeit und Engagement in der Arbeit hervor, und das Kommunikationsmanagement betrachtet explizite wie implizite Anerkennung als Teil erfolgreicher Führung. Erst durch die Verbindung dieser Sichtweisen wird deutlich, wie Wertschätzung ganzheitlich verstanden, gestaltet und messbar gemacht werden kann. Hierin liegt ein zentraler Beitrag für eine menschenzentrierte digitale Arbeitswelt.