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Flache Landschaftsbereiche entlang der Küste – die Küstenniederungen – sind bei Hochwasser und Sturmfluten besonders betroffen. Neben den Deichen wird das Binnenland über Siele und Schöpfwerke vor Überschwemmungen geschützt. Diese Bauwerke steuern die Wasserstände in den Niederungsgebieten und leiten das Wasser aus dem Binnenland ins Meer. Diese Entwässerung ist stark von der Tide beeinflusst, da das Wasser nur während der Ebbezeiten durch die Siele fließen kann. Ist der Seewasserstand zu hoch, müssen die Siele geschlossen werden und Schöpfwerke pumpen das Wasser aus dem Binnenland. Dieser Vorgang benötigt viel Energie.
Der steigende Meeresspiegel und sich verändernde Niederschlagsdynamiken, aber auch steigende Energiepreise und schwankende Energieverfügbarkeit stellen die Entwässerung in den Küstenniederungen vor besondere Herausforderungen. Derzeit stoßen Entwässerungssysteme immer wieder an ihre Leistungsgrenzen. Eine intelligente Steuerung bestehender Infrastruktur über die Einbindung von Wetter- und Energieprognosen wird immer wichtiger, um frühzeitig Gefahren zu erkennen und ein vorausschauendes sowie energieeffizientes Entwässerungsmanagement zu ermöglichen. Genau daran forschen die Wissenschaftler*innen des Zukunftslabors Wasser.
Zuverlässige Prognosen schützen Küstenregionen vor Überflutungen
Die Wissenschaftler*innen entwickeln ein datenbasiertes Prognosemodell für das Siel und Schöpfwerk „Knock“ in der Nähe von Emden. Das Modell basiert auf Long Short-Term Memory (LSTM), einer speziellen Art des Maschinellen Lernens. Mithilfe des Modells sollen Veränderungen des Wasserstands im Entwässerungsnetz simuliert und insbesondere die Auswirkungen von Wetterbedingungen und der Entwässerungssteuerung auf die Wasserstände untersucht werden. Die Wissenschaftler*innen trainierten das Modell mit Daten aus zehn Jahren (2014 bis 2024). Dazu wurden meteorologische Daten (z. B. Niederschlagsmengen, Windverhältnisse, Temperatur) des Deutschen Wetterdienstes, hydrologische Daten (z. B. Wasserstände) des Niedersächsischen Landesbetriebs für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz sowie Prozessdaten aus den Entwässerungssystemen (z. B. Abflussmengen, Pump- und Sielaktivitäten) des Ersten Entwässerungsverbandes Emden verwendet. In Verbindung mit Wetter- und Tidevorhersagen kann das Modell die Wasserstände für die nächsten Stunden und Tage vorhersagen – eine wichtige Grundlage für die Anpassung der Entwässerungssteuerung.
Das Ziel der Wissenschaftler*innen ist es, die Siele und Entwässerungspumpen vorausschauend zu steuern. Der derzeitige Betrieb stützt sich auf Spezialist*innen vor Ort, die ihre Entscheidungen auf der Grundlage von Fachwissen, dem Systemstatus und der Ad-hoc-Interpretation von Wetter- und Gezeitenvorhersagen treffen, um das System zu steuern und die Zielwasserstände einzuhalten. Mithilfe der datenbasierten Prognosen sollen den Entscheider*innen zukünftig zusätzliche Informationen für das Entwässerungsmanagement zur Verfügung stehen.
Durch eine flexiblere Steuerung kann das bestehende Entwässerungsmanagement an veränderte Bedingungen, z. B. durch den Klimawandel, angepasst werden. Gleichzeitig können die damit verbundenen Risiken durch Hochwasser oder Dürre gemindert werden. So wird die Resilienz der betroffenen Regionen nachhaltig gestärkt.
Um die Zuverlässigkeit und die Qualität des Wasserstandsmodells zu ermitteln, erstellten die Wissenschaftler*innen Vorhersagen anhand vergangener Ereignisse und prüften so, ob das Modell die tatsächlich eingetretenen Wasserstände richtig vorhergesagt hätte. Das Ergebnis war überzeugend: Das Modell ist in der Lage, den Wasserstandsverlauf für die kommenden drei Tage mit hoher Zuverlässigkeit zu berechnen. Längere Prognosen sind wegen der zunehmenden Unsicherheit in den Wettervorhersagen aktuell nicht zuverlässig, aber dieser Zeitraum reicht bereits aus, um die Entwässerung des Gebietes adaptiv zu steuern.
Siele und Entwässerungspumpen effizienter steuern
Aufgrund des hohen Energieverbrauchs der Pumpen in den Schöpfwerken müssen energieeffiziente Entwässerungspläne entwickelt werden. Sinnvoll ist z. B. die Berücksichtigung von Wettervorhersagen, um zu wissen, wann und wie viel Windenergie zur Verfügung steht, damit die Pumpen mithilfe erneuerbarer Energie betrieben werden können. Das Siel und Schöpfwerk „Knock“ verfügt über eine eigene Windkraftanlage, deren Energie dafür genutzt werden kann. In windstillen Zeiten sollte das Pumpen möglichst vermieden werden, da dann bislang konventioneller, meist teurer Netzstrom eingesetzt werden muss.
Daher untersuchten die Wissenschaftler*innen parallel zum Prognosemodell erste Ansätze für eine systematische Optimierung der Entwässerung. Die Grundlage der Optimierung bildet ein integrierter Modellansatz: Neben dem entwickelten Wasserstandsmodell kommt ein Optimierungsmodell zum Einsatz, das auf Mixed Integer Linear Programming (MILP) basiert. Dies ist ein mathematisches Verfahren, das dabei hilft, optimale Lösungen für komplexe Herausforderungen zu finden.
Beim Entwässerungsmanagement müssen verschiedenste Entscheidungen getroffen werden, die sich mathematisch in zwei Kategorien unterscheiden lassen: diskrete und kontinuierliche. Diskrete Entscheidungen sind ganzzahlig, z. B. ob eine Pumpe ein- oder ausgeschaltet ist (0 oder 1) oder wie viele Pumpen gleichzeitig betrieben werden (z. B. 1, 2 oder 3). Kontinuierliche Entscheidungen hingegen erlauben Zwischenwerte – etwa die genaue Fördermenge einer Pumpe, die innerhalb eines bestimmten Bereichs frei wählbar ist. Die Kombination beider Entscheidungsarten stellt hohe Anforderungen an die Optimierung der Steuerung. Diese kann sowohl einzelne Ziele als auch mehrere Teilziele gleichzeitig verfolgen, z. B. die Senkung der Betriebskosten, die Reduzierung des Energieverbrauchs oder die Einhaltung eines definierten Zielpegels. Das Ergebnis ist ein optimierter Steuerungsplan von Sielen und Pumpen.
Erste Tests zur Integration des Prognosemodells in den Optimierungsprozess waren erfolgreich. Durch iterative Anpassungen der Entwässerungspläne konnten wir ein effizientes Lösungsverfahren entwickeln. Durch die Kopplung der Modelle werden die Pumpaktivitäten zuverlässig in Zeiten verschoben, in denen ausreichend Windenergie der lokalen Windkraftanlage zur Verfügung steht, ohne die Wasserstandsgrenzen des Entwässerungssystems zu verletzen. Mit der genauen Ausgestaltung des Optimierungsalgorithmus werden wir uns weiterhin beschäftigen.
Ausblick: Wie geht es weiter?
Die Wissenschaftler*innen werden das Prognosemodell mit zusätzlichen Daten trainieren und umfassender testen. Zudem werden sie den Optimierungsalgorithmus weiterentwickeln und die Iterationsschleifen anpassen, um praxistaugliche Ablaufpläne zu ermöglichen. Die enge Verzahnung von Vorhersage und Optimierung bleibt dabei ein zentrales Anliegen, um langfristig robuste Lösungen für eine adaptive Küstenwasserwirtschaft zu erarbeiten.