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Jetzt anmeldenExtreme Wetterlagen nehmen auch in Deutschland zu – und mit ihnen das Risiko für Überflutungen. Besonders in flussnahen Regionen können starke und anhaltende Regenfälle innerhalb kürzester Zeit ganze Orte gefährden. So war es 2017 in Goslar und Göttingen, wo die Gose und die Innerste über die Ufer traten und die angrenzenden Gebiete überschwemmten. Die Warnung vor diesen Überflutungen traf erst kurz vorher ein, sodass nicht ausreichend Zeit war, um Maßnahmen zur Eindämmung der Schäden zu ergreifen.
Um vor Hochwasser und Überflutungen frühzeitig warnen zu können, entwickeln die Wissenschaftler*innen des Zukunftslabors Wasser ein Prognosemodell, das den Wasserstand von Flüssen zuverlässig vorhersagt – und zwar auf Basis frei zugänglicher Daten. Das Modell analysiert hierfür Bilddaten des Flusses sowie Niederschlagsdaten, um gefährdete Gebiete so früh wie möglich zu identifizieren.
Das Besondere an dem entwickelten Prognosemodell ist die Datenbasis: Viele Modelle nutzen Sensordaten aus Messstationen, die direkt am Gewässer Informationen über den Wasserstand erheben. Diese Sensoren sind aber nicht überall vorhanden und zudem anfällig für Störungen, sodass die Datenbasis lückenhaft sein kann. Daher trainierten die Wissenschaftler*innen ein Modell mithilfe radargestützter Niederschlagsdaten des Deutschen Wetterdienstes (DWD). Diese Daten werden alle fünf Minuten flächendeckend für Deutschland erhoben, geben Aufschluss über Niederschlagsmengen (Regen, Schnee, Hagel) und sind frei verfügbar. Zudem nutzten die Wissenschaftler*innen Bilddaten zum Wasserstand des Flusses, die zwei lokale Wasserwirtschaftsämter bereitstellten: die Harzwasserwerke GmbH und der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz.
Spezielle Verfahren des Maschinellen Lernens
Das entwickelte Modell mit der Bezeichnung STRPMR (Spatiotemporal Radar-Based Precipitation Model for Residuals) konzentriert sich auf die Veränderung der Wasserstände, anstatt absolute Wasserstände vorherzusagen. Es analysiert, wie sich der Wasserstand in Abhängigkeit des Niederschlags verändert. Die Wissenschaftler*innen nutzten eine spezielle Form des Maschinellen Lernens zur Auswertung der Daten: (2+1)D CNNs. Convolutional Neural Networks (CNNs) bestehen aus mehreren Schichten, die Muster in Bilddaten erkennen und verarbeiten. (2+1)D CNN ist eine spezielle Architektur eines CNN, die für die Verarbeitung von sequenziellen Bilddaten entwickelt wurde. Mit dieser Form des Maschinellen Lernens kann das Prognosemodell räumliche und zeitliche Niederschlagsmuster analysieren. Die Wissenschaftler*innen kombinierten die verwendeten (2+1)D CNNs mit einem weiteren Verfahren des Maschinellen Lernens: Long Short-Term Memory (LSTM). LSTM-Modelle sind dafür ausgelegt, sich an bereits verarbeitete Informationen zu „erinnern“. Das ist besonders vorteilhaft bei Aufgaben, bei denen frühere Daten entscheidend sind – wie etwa bei Niederschlagsdaten.
Um das entwickelte Prognosemodell zu testen, nutzten die Wissenschaftler*innen hydrologische Standardkennzahlen wie Mean Squared Error (MSE) und die Bravais-Pearson-Korrelation. MSE hilft dabei zu erkennen, ob das Prognosemodell präzise Werte liefert, während die Bravais-Pearson-Korrelation zeigt, ob das Modell den richtigen Trend erfasst. Die Tests zeigten, dass das Modell zuverlässige Vorhersagen erstellen kann und zwar bis zu zwölf Stunden vor dem Eintreten des Ereignisses.
Übertragbarkeit auf andere Regionen
Eine weitere Besonderheit des entwickelten STRPMR-Modells ist die Übertragbarkeit auf andere Regionen: Die Wissenschaftler*innen trainierten das Modell mit Daten der Gose in Goslar. Anschließend wandten sie es für die Innerste in Göttingen an, ohne das Modell neu zu trainieren. Auch hierfür lieferte das Modell zuverlässige Vorhersagen.
Traditionelle Prognosemodelle müssen bei anderen Einsatzgebieten neu trainiert werden. Das ist bei unserem Modell nicht nötig, weil wir uns auf die Beziehung zwischen dem Wasserstand des Flusses und dem Niederschlag konzentrieren. Das lässt sich problemlos auf andere Flüsse und Regionen übertragen, da dort ebenfalls Flusspegel und Niederschlagsdaten ausgewertet werden können.
Das entwickelte STRPMR-Modell hat also drei zentrale Vorteile: 1. Es kann Wasserstände bis zu zwölf Stunden im Voraus vorhersagen. Dadurch kann es frühzeitig auf Hochwasser hinweisen, sodass der Katastrophenschutz entsprechend früh aktiv werden kann. 2. Die erfolgreiche Anwendung auf ein neues Einsatzgebiet (Göttingen) hat gezeigt, dass das Modell robust und erweiterbar ist, sodass es auch für andere Standorte eingesetzt werden kann. 3. Im Gegensatz zu herkömmlichen Modellen arbeitet STRPMR mit radargestützten Niederschlagsdaten und nicht mit sensorbasierten Daten, sodass es auch in Gebieten ohne Messstationen genutzt werden kann.
Ausblick: Wie geht es weiter?
Die Wissenschaftler*innen werden das Modell in weiteren Regionen Niedersachsens testen. Zudem werden sie die Datenbasis mit weiteren, frei verfügbaren Daten des DWD ergänzen. Damit können sie zusätzliche Parameter in das Modell einarbeiten und weiteren Forschungsfragen nachgehen, bezogen auf die Temperatur (Wie wirkt sich die Verdunstung auf den Wasserstand aus?), die Bodenfeuchtigkeit (Wie viel Wasser kann der Boden aufnehmen?) oder die Schneeschmelze (Wie beeinflussen saisonale Wetterverhältnisse den Wasserstand?).
Langfristig planen die Wissenschaftler*innen, das Modell auch für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Aktuell sind die Prognosedaten sehr komplex und es ist Fachwissen erforderlich, um sie zu verstehen. Perspektivisch soll das Modell etwa in Gemeinden und Städten als Informationsbasis für das regionale Katastrophenmanagement dienen.