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Jetzt anmeldenDie produzierende Wirtschaft steht vor einer gewaltigen Aufgabe und gleichzeitig vor einer großen Chance: dem Wandel von der linearen Wirtschaft zur Kreislaufwirtschaft (Circular Economy). In der linearen Wirtschaft werden natürliche Ressourcen abgebaut, um Produkte herzustellen, die nach ihrer oft kurzen Nutzung entsorgt werden. Dies führt zu einem hohen Ressourcenverbrauch und produziert viel Abfall. Die Circular Economy hingegen setzt auf Wiederverwendung, Recycling und eine möglichst lange Nutzung von Produkten und Materialien. Der Umstieg auf die Circular Economy ist wichtig, um Ressourcen zu schonen, Abfälle zu minimieren und Umweltbelastungen zu reduzieren. Für Produktionsunternehmen kann z. B. die Abfallvermeidung und die Integration von Sekundärmaterialien Kosten reduzieren und Abhängigkeiten in den Lieferketten verringern.
Die Wissenschaftler*innen des Zukunftslabors Produktion erforschen eine durchgängige, digitale Produktionskette am Beispiel des Aluminiumdruckgusses, der insbesondere für die niedersächsische Mobilitätsbranche von zentraler Bedeutung ist. Die Wissenschaftler*innen hatten im Forschungsjahr 2022 damit begonnen, die Lieferketten in der Produktion und deren Datenflüsse zu untersuchen. Da es für die Lieferketten des Aluminiumdruckgusses kaum öffentlich zugängliche Daten gab, untersuchten die Wissenschaftler*innen beispielhaft die Lieferkette des deutschen Windenergiemarktes.
Die Wissenschaftler*innen analysierten Daten zu den Kreislaufwirtschaftspfaden (Circular Economy Pathways) stillgelegter Onshore-Windturbinen in Deutschland. Die Kreislaufwirtschaftsstrategien – auch R-Strategien genannt – beschreiben die unterschiedlichen Phasen eines Produktlebenszyklus. Insgesamt gibt es sieben mögliche Strategien nach der ersten Nutzungsphase: Reuse (Wiederverwendung durch Dritte in Originalfunktion), Repair (Reparatur zum Herstellen des Originalzustandes), Refurbish (Aufarbeitung und Aktualisierung alter Produkte), Remanufacture (Wiederaufbereitung alter Teile für dieselbe Funktion in neuen Produkten), Repurpose (Weiterverwendung einzelner Komponenten für andere Zwecke), Recycle (Recycling von Materialien zur stofflichen Verwertung in neuen Produkten) und Recover (Verbrennung von Abfällen zur Energienutzung). Ein Produkt – in diesem Fall die Windenergieanlage – kann nach seinem ersten Lebenszyklus eine oder mehrere dieser Strategien durchlaufen. So kann die Windenergieanlage z. B. wiederverwendet (Reuse) oder repariert (Repair) werden, oder einzelne Komponenten (z. B. die Rotorblätter) können für einen anderen Zweck genutzt werden (Repurpose). Dabei sollten Lieferketten entwickelt werden, die einen hohen Grad an Zirkularität anstreben, indem die gesamte Bandbreite der R-Strategien in einer kaskadierten Reihenfolge angewandt und die Gesamtlebensdauer der Turbine und ihrer Komponenten verlängert wird.
Export stillgelegter Windturbinen
Als Datengrundlage für ihre Analyse nutzten die Wissenschaftler*innen das Marktstammdatenregister der Bundesnetzagentur, in dem die in Betrieb befindlichen Turbinen gelistet sind, und die Datenbank der Deutsche WindGuard GmbH, die alle jährlich stillgelegten Turbinen verzeichnet. Zudem führten sie Interviews mit 16 Expert*innen, um die Kreislaufwirtschaftspfade für stillgelegte Onshore-Windkraftanlagen zu ermitteln. Die Interviews waren der einzige Weg, Informationen über die Pfade nach dem ersten Lebenszyklus einer Windturbine zu erfassen, da es hierzu keine strukturierten Daten gab. Die Analyse zeigte, dass ca. 50 Prozent der stillgelegten Onshore-Windturbinen aus Deutschland in vor allem europäische Länder exportiert wurden und somit einen zweiten Lebenszyklus erhielten. Frühere Prognosen zur Abfallbehandlung hatten den Export der Turbinen weitgehend ignoriert. Für die Kapazitätsplanung verschiedener Stakeholder ist jedoch die Bestimmung des erwarteten Rückbauzeitpunkts und der erwartete Kreislaufwirtschaftspfad bei Windenergieanlagen von Bedeutung:
Prognose der Recyclingkapazität für Rotorblätter
Daraufhin erstellten die Wissenschaftler*innen ein Modell zur Abschätzung der Materialflüsse von installierten Rotorblättern, um deren Recyclingkapazitäten zu ermitteln. Zur Etablierung von Recyclinganlagen für Rotorblätter wird eine jährliche Mindestmenge (ca. 5.000 – 15.000 Tonnen) benötigt, damit sie wirtschaftlich rentabel sind. Die Untersuchung zeigte, dass diese Schwellenwerte für Deutschland innerhalb der nächsten zehn Jahre erreicht sein werden. Das von den Wissenschaftler*innen entwickelte Modell bestimmt den Zeitpunkt der Außerbetriebnahme und integriert die mittels der Interviews erhobenen Daten zum zweiten Lebenszyklus der Rotorblätter. Das Materialflussprognosemodell ermöglicht eine zuverlässigere Planung der Rotorblatt-Recyclingkapazität. Dadurch wird die Entscheidungsgrundlage für politische Entscheidungsträger und Unternehmen verbessert, um eine nachhaltige Ressourcennutzung entlang der gesamten Wertschöpfungskette der Windindustrie zu erreichen.
Handlungsempfehlungen
Die Untersuchungen der Wissenschaftler*innen zeigten, dass eine strukturierte Datenerfassung zu den Kreislaufwirtschaftspfaden in der Windindustrie sinnvoll ist, um fundierte Datenerhebungen und -analysen sowie noch genauere Prognosen zu ermöglichen. Daher sprechen sich die Wissenschaftler*innen für die Schaffung einer Datenplattform aus, um die Lebenswege von Windenergieanlagen und ihrer Komponenten über mehrere Lebenszyklen hinweg genau zu verfolgen, z. B. durch die Einführung zusätzlicher Datenfelder in den nationalen Marktregistern. Solche Datenplattformen empfehlen sie nicht nur für die Windindustrie, sondern für alle produzierenden Gewerbe. Denn eine Datenerfassung über den gesamten Lebenszyklus hinweg ist erforderlich, um von der linearen Wirtschaft auf eine Circular Economy umzusteigen – unabhängig von der Art des Produktes.
Unsere Methodik basiert auf einem branchenneutralen Rahmen der R-Strategien und kann daher auch auf andere Branchen angewendet werden. So fehlen z. B. für die schnell wachsenden Photovoltaik- und Batteriemärkte derzeit verlässliche Prognosen, ebenso wie Untersuchungen zu zweiten Lebenszyklen.
Eine umfangreiche Datenerfassung ist auch für digitale Produktpässe wichtig, die Informationen zu Herstellung, Nutzung, Weiternutzung und Recycling von Materialien, Produkten und Prozessen bereitstellen. Digitale Produktpässe können eine verbesserte Entscheidungsgrundlage für verschiedene Akteure entlang der gesamten Wertschöpfungskette bieten und sie damit in die Lage versetzen, ihr Geschäft und ihre Lieferkette aktiv zu steuern (z. B. Stakeholder-Management, Lagerdimensionierung).